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Kunst, Kultur und Sprache: Lehrerin in Zürich über ihre albanischen Wurzeln und die Bedeutung der Muttersprache 

Marigona Alija, Lehrerin und Künstlerin: "In meiner Kunst bringe ich mein persönliches Leben mittels albanischer Motive zum Ausdruck"

Ein facettenreiches Interview mit der Lehrerin Marigona Alija, die nicht nur ihre Berufskarriere, sondern auch ihre künstlerische Auseinandersetzung mit der albanischen Kultur teilt. Im Zusammenhang mit dem neuen selektiven Obligatorium in Thurgau spricht sie über die Rolle der Muttersprache und die Chancen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.

albinfo.ch: Können Sie uns einen Einblick in Ihre persönliche Schulbiografie geben und uns erzählen, wie Ihr heutiger Berufsalltag aussieht?  

Marigona Alija: Nach meinem Bachelorstudium arbeitete ich als Klassenlehrperson im Kanton Schaffhausen. Dort konnte ich meine ersten Berufserfahrungen sammeln und unterrichtete unter anderem auch das DaZ (Deutsch als Zweitsprache). Ich interessierte mich immer mehr für die kindliche Entwicklung und habe mich nach vier Jahren Berufserfahrung dazu entschieden, den Master «Frühe Kindheit» anzugehen. Währenddessen war ich weiterhin als Lehrperson tätig und machte verschiedene Praktika in der Bildungsforschung. Nach sechs wertvollen Berufsjahren im Kanton Schaffhausen wechselte ich meine Arbeitsstelle und unterrichte seit dem aktuellen Schuljahr Sport im Kanton Zürich. Heute freue ich mich darauf, meinen Masterabschluss bald in den Händen zu halten und bin gespannt, welche Herausforderungen in Zukunft auf mich warten.

albinfo.ch:  Inwiefern hat Ihre albanische Muttersprache eine Rolle in Ihrer schulischen Entwicklung gespielt und wie hat sie Ihren Weg zur Lehrperson beeinflusst? 

Marigona Alija: Mir fiel der Erwerb von neuen Sprachen leicht. Das habe ich unter anderem meiner albanischen Muttersprache zu verdanken, weil mir dadurch ein gutes Sprachgefühl vermittelt wurde. Ansonsten hat meine Muttersprache lang keine grosse Rolle in meiner schulischen Entwicklung gespielt. Mit der albanischen Sprache habe ich mich erst während dem Bachelorstudium vertiefter befasst – sicherlich dank den Anregungen spannender Module zur Sprachentwicklung von Kindern. In dieser Zeit setzte ich mich ausserdem immer mehr mit der albanischen Kultur und Geschichte auseinander und fand damals durch albanische Motive zu meinem Kunststil. Dieser künstlerische Bezug zu meiner Kultur macht mich heute aus, wobei für mich Kultur und Sprache untrennbar miteinander verbunden sind.

Dank meinem sprachlichen Hintergrund habe ich als Lehrperson den Vorteil, persönliches Verständnis für die Situation der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, aber auch für deren Eltern aufzubringen. Mir ist es wichtig, dass mein Unterricht nicht nur auditiv, sondern mit allen Sinnen erlebbar ist.

Als Lehrperson, unterstreiche ich die Bedeutsamkeit der Muttersprache nicht nur weil Studien erwiesen haben, dass Kinder, die in ihrer Muttersprache kompetent sind, oft schneller und effektiver eine neue Sprache lernen können. Das Beherrschen der Muttersprache ist für soziale Aspekte wichtig und stärkt persönliche Kompetenzen.

albinfo.ch: Was genau ist das SOSV eigentlich und was denken Sie über das neue selektive Obligatorium für vorschulische Sprachförderung im Kanton Thurgau und wie könnte es die Bildungslandschaft positiv beeinflussen? 

Marigona Alija: SOSV steht für «Selektives Obligatorium vorschulische Sprachförderung» und wird im Kanton Thurgau momentan umgesetzt. Durch die Einführung dieses Programms sind Kinder mit Förderbedarf in deutscher Sprache dazu verpflichtet, ein Angebot für die vorschulische Sprachförderung (Spielgruppen, Kitas, Tagesfamilien) zu besuchen. Mittels einer Sprachstandserhebung, die die Erziehungsberechtigten 1,5 Jahre vor dem Kindergarteneintritt ausfüllen, wird der Sprachstand des Kindes eruiert und die entsprechenden Familien werden zur Anmeldung aufgefordert. Diese Kinder besuchen dann ein Jahr vor dem Kindergarteneintritt eine Spielgruppe, Kindertagesstätte oder Tagesfamilie vier bis sechs Stunden pro Woche. Die ersten Kinder des Deutschförderangebots/Obligatoriums starten ab dem kommenden Schuljahr 2024/2025.

Im SOVS steht die Sprachförderung und die Chancengleichheit im Fokus und von diesem Angebot können Kinder mit ungenügenden Kenntnissen der Schulsprache Deutsch profitieren. Solche Angebote unterstützen das Kind und die Familie in der Transition von der frühen Kindheit in die Schule. Es ist von grosser Bedeutung, wenn in die Frühe Förderung investiert wird und die Basis sowie die persönlichen Ressourcen der Kinder gestärkt werden. Das wirkt sich positiv auf die kindliche Entwicklung aus.

Ich bin jedoch der Meinung, dass ausserfamiliäre Angebote wie Spielgruppen und Kindertagesstätten für alle Kinder gewinnbringend sind und nicht nur für Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen. Nebst der Sprachförderung wird das Kind in den frühkindlichen Einrichtungen auch in seinen Sozial- und Selbstkompetenzen gefördert und auf den Kindergarten vorbereitet.

albinfo.ch: Glauben Sie, dass dieses Obligatorium eine Chance bietet, die Voraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu verbessern? 

Marigona Alija: Studien haben erwiesen, dass vorschulische Einrichtungen wie Spielgruppen und Kindertagesstätten sich positiv auf die kindliche Entwicklung und das Lernen auswirken. Die Förderung einer starken Basis kann auf jeden Fall Chancen verbessern.

albinfo.ch: Wie können Eltern, insbesondere diejenigen mit albanischem Hintergrund, besser in den Prozess der vorschulischen Sprachförderung eingebunden werden? 

Marigona Alija: Meiner Meinung nach ist es enorm wichtig, dass das Kind zuhause mit der Muttersprache aufwächst und einen kulturellen Bezug hat. Nicht zu vergessen ist aber, dass das Kind mit dem ersten Tag im Kindergarten der deutschen Sprache ausgesetzt ist.

Mit dem Besuch einer Spielgruppe oder einer Kindertagesstätte vor der obligatorischen Schulzeit haben Kinder die Möglichkeit, bereits vor dem Kindergarten Deutsch zu lernen. Auch zur Förderung der Sozial- und Selbstkompetenzen finde ich frühkindliche Einrichtungen wertvoll. Jedoch braucht es dafür die finanziellen Mittel. Das ist leider nicht immer gegeben. Bei dem SOVS übernimmt der Kanton Thurgau die Kosten für das vorschulische Sprachförderungsangebot, was die Entlastung von Familien und Chancengleichheit mit sich bringt. Die Sprachförderung soll aber nicht nur in den frühkindlichen Einrichtungen stattfinden, sondern auch zuhause. Wenn die Eltern, Verwandte oder Bekannte der Familie fliessend Deutsch sprechen, können Deutschsprachinseln für das Kind eingebaut werden. Vor allem finde ich es aber wichtig, dass das Kind in der eigenen Muttersprache gestärkt wird und es mit Geschichten und Kinderbüchern aufwächst.

albinfo.ch: Welchen Einfluss hatte die Beschäftigung mit Kunst auf Ihre albanischen Sprachkenntnisse? 

Marigona Alija: Die bildende Kunst hat mich schon seitdem ich denken kann fasziniert und begleitet. Albanische Motive habe ich aber erst mit etwa 20 Jahren für mich entdeckt. Während der Suche nach Motiven und Inspirationen habe ich mich intensiv mit der albanischen Geschichte auseinandergesetzt, schlussfolgernd auch viele albanische Texte gelesen und meine Sprachkenntnisse verschärft. Diesen intensiven Bezug zur Sprache und Kultur hatte ich als Kind und Jugendliche noch nicht. Es gibt lobenswerte Kulturvereine, die den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen Raum bieten, sich mit der Geschichte, Musik und Kunst auseinanderzusetzen. Für Kinder sind schon einige bezaubernde Bilderbücher auf Albanisch entstanden, die zum Teil auch kulturelle Aspekte aufgreifen.

In meiner Kunst bringe ich mein persönliches Leben mittels albanischer Motive zum Ausdruck. Die verschiedenen Motive symbolisieren nicht nur den Bezug zu meiner albanischen Herkunft. Vielmehr habe ich durch meine Kunst einen Raum gefunden, in dem ich keine Identitätsfrage beantworten muss, sondern meine Gedanken durch meine Liebe zu albanischen Trachten und dem Volkstanz auf die Leinwand bringe. Unscheinbare Symbole tragen eine für mich persönliche Bedeutung und machen jedes Werk zu etwas Besonderem.