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Ansprache von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter zum 1. August 2025

Ich bin überzeugt, dass wir gute Voraussetzungen haben, die Erfolgsgeschichte unseres Landes weiterzuschreiben

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Ich stehe hier beim Stadtweier meiner Wohngemeinde Wil.

Diese Ostschweizer Stadt hat nicht nur für mich persönlich eine besondere Bedeutung, sondern auch für unser Land. Im Hof zu Wil beschlossen 1647 die 13 Alten Orte der Eidgenossenschaft die erste Wehrordnung der Schweiz, das sogenannte Defensionale von Wil.

Dieser Vertrag gilt als Geburtsurkunde der Schweizer Armee und der bewaffneten Neutralität der Schweiz. Er entstand gegen Ende des 30-jährigen Kriegs, als die konfessionellen Spannungen auch in der Schweiz hoch waren und an der Rheingrenze gleichzeitig ein Überschwappen des Kriegsgeschehens auf eidgenössisches Territorium drohte.

Für unser Land besteht heute zum Glück keine unmittelbare militärische Gefahr. Aber wieder herrschen Kriege in Europa und im Nahen Osten, deren Folgen uns betreffen und herausfordern.

Ich kann noch einen zweiten Vergleich zur Zeit des 30-jährigen Kriegs ziehen:

In seinem barocken Schelmenroman «Simplicissimus» schildert der deutsche Schriftsteller von Grimmelshausen die Schweiz als friedliche Insel inmitten der europäischen Kriegswirren, als, ich zitiere, «ein irdisch‘ Paradies», in dem «keine Furcht vor dem Feind [war], keine Sorg vor der Plünderung und keine Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren».

Betrachten wir uns nicht auch heute noch als Insel der Glückseligen inmitten einer Welt von bewaffneten Konflikten, Handelskriegen, zunehmender Demokratieskepsis und hoch verschuldeten Staaten?

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Ja, es geht der Schweiz gut – im Vergleich mit vielen anderen Ländern, auch in Europa, sogar sehr gut.

Das haben wir vor allem unser politischen Kultur, unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung und unserem genossenschaftlichen Gemeinsinn zu verdanken.

Doch unser Wohlstand, unsere Freiheit, unsere politischen und sozialen Errungenschaften sind nicht selbstverständlich und schon gar nicht garantiert.

Im Sinne der vielzitierten Willensnation müssen wir all dies wollen und uns dafür engagieren – im Privatleben, im Beruf, in der Gemeinschaft oder in der Politik.

Ich bin überzeugt, dass wir gute Voraussetzungen haben, die Erfolgsgeschichte unseres Landes weiterzuschreiben.

Indem wir Sorge tragen zu unseren Institutionen und zu unserer politischen Kultur. Sie stehen für Werte wie Mitsprache, Konkordanz Vielfalt, Solidarität und Subsidiarität.

Und indem wir unser freiheitliches System beibehalten, das den Menschen und Unternehmen einerseits Raum für Entfaltung lässt und ihnen andererseits auch die Verantwortung für ihre Handlungen überträgt.

«Jeder ist seines Glückes Schmied», sagt der Volksmund.

Wer sich anstrengt und Leistungsbereitschaft zeigt, soll auch heute noch ein gutes Leben führen können. Auch wenn es zum Erfolg nebst Geschick manchmal auch noch etwas Glück braucht.

Wie am Ende des 30-jährigen Kriegs, als die Eidgenossenschaft militärisch fast vollständig verschont blieb und im Westfälischen Frieden von 1648 erstmals völkerrechtliche Souveränität zugesprochen erhielt.

Das Geschick unserer Vorfahren – und das nötige Quäntchen Glück – haben die Schweiz zu dem gemacht, was sie heute ist.

Am heutigen Nationalfeiertag sollten wir daher mit Stolz, aber auch mit einer gewissen Demut auf unser Land schauen.

Und mit der Zuversicht, dass wir auch weiterhin unseres Glückes Schmied sein können.

Ich wünsche Ihnen einen schönen 1. August.