Albanien jenseits des Meeres

Albanien – ein kontrastreiches Land

“Das ist es, was jene suchen, die jetzt das Land entdecken. Den Rhythmus einer anderen Zeit, während sich gleichzeitig alles verändert. Sie suchen die Überreste eines Damals, das nun zugänglich ist.”

Die Adria und das Ionische Meer sind in ihrem östlichen Teil durch einen dünnen Festlandgürtel an der albanischen Küste getrennt, der der dichten Kiefernwälder wegen den alten osmanischen Namen Karaburun, “Schwarze Nase”, trägt. Die Halbinsel und das Inselchen in ihrer Verlängerung mit dem venetianischen Namen Sasseno – Sazan sind erst seit kurzem daran, vom Tourismus entdeckt zu werden.

Kujtim Onuzi, der in den letzten Jahren Broschüren mit Velowegen herausgab, zeigt mit dem Finger auf die Karte, die die halbe Wand in seinem Büro im Albanischen Geologischen Institut in Tirana einnimmt, und sagt: “Schau, das ist die Grenzlinie die übers Wasser führt.”

“Die beiden grossen tektonischen Platten, die afrikanische und die eurasische, stossen genau hier im Mittelmeer aufeinander und bildeten die Berge Westgriechenlands und Albaniens, eine Linie, die danach den Peleponnes durchquert und nach Anatolien führt”, sagt er.

Geologie und menschliche Erfahrungen

Albanien besucht man nicht, um es geologisch zu interpretieren, und Tropen sind unzuverlässige Assoziationen, aber jener Zusammenprall der Platten fügt sich gut in die Reihe von historischen Zusammenstössen in diesem Territorium ein, bis zu den menschlichen Erfahrungen in diesem Land. Auch den brutalen, selbstisolierenden Kommunismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dessen Spuren in der urbanen Landschaft des Landes immer noch gut sichtbar sind, kann als absurder Versuch gesehen werden, der Fatalität solcher Zusammenstösse zu entkommen.

Wenn wir nach Albanien kommen, betreten wir eine Welt, die, mit ihren Brüchen, linguistisch – Albanisch ist eine alleinstehende indoeuropäische Sprache – eine universale Erfahrung isoliert. Eine Moschee neben einem Kulturzentrum mit modernistischen Formen in Tirana; eine Kirche, die eine Moschee gewesen war und davor wiederum Kirche an der Mündung des einzigen schiffbaren Flusses des Landes, in Shkodër, im Norden. Nähern wir uns dem Land in der Abenddämmerung per Flugzeug, erblicken wir paranoische  Bunkerpilze, die zwischen hastig mit den Rimessen der Neunzigerjahre aus Betonziegeln erstellten Häusern dahinvegetieren, deren einsamen weissglühenden Lampen zaghaft ihre Innenhöfe beleuchten. Aus Stein gehauene osmanische Städte wie Berat im Süden, geschützt von unteriridischen Tunnels im Hinterland der Xenophobie des Kalten Krieges. Ganze Blöcke im sowjetischen Stil, von im Grunde genommen bescheidenem Umfang, die einmal dick übertüncht wurden, schliessen an deformierte, einst auf dem Reissbrett geplante Plätze, und bilden die urbane Ästhetik der letzten zwei drei Jahre.

 

Der Zusammenprall spiegelt sich auch in der Ernährung der Albanerinnen und Albaner

Ein Zusammenprall lässt sich auch in der Art und Weise der Ernährung des Landes erkennen. Wie alle andern Postosmanen bereiten sie hier jenes Essen, das den Hoxha in Ohnmacht fallen lässt (das Gericht “Imam bayıldı” – trk. “der Imam fiel in Ohnmacht”), ausgezeichnet zu. Albanien hat der osmanischen Küche ein eigenes Gericht geschenkt: in Butter und Joghurt  gebackenes Lammfleisch, genannt Elbasan tava, Elbasaner Lammfleisch im Tontopf. Heutzutage ist es wegen der massiven Emigration nach Italien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus jedoch einfacher, ein gut zubereitetes Pastagericht mit vorher nicht gekannten  Meeresfrüchten zu finden. Oder Slow-food, die Bewegung der “echten” Ernährung, die im vergangenen Jahrzehnt in Italien entstand.

Spatzen- oder Schwalbennester in einsamen Kirchen und verlassenen Bunkern. Die Konfrontation der traditionellen Welt der halbnomadischen Hirten und der geschlossenen Talschaften mit den neuen Wellen des Abenteuertourismus.

Es sind Berge, die sich durch den Zusammenprall erheben und wie Messer ins Mittelmeer fallen.

“Das ist es, was jene suchen, die jetzt das Land entdecken”, sagt Rezarta Bare, Mitarbeiterin einer Tourismusagentur in Tirana, Outdoor Albanien. (Siehe auch: www.outdooralbania.com und den Artikel: „Off limitts Albania“ Seiten 42-43.) “Den Rhythmus einer anderen Zeit, während sich gleichzeitig alles verändert. Sie suchen die Überreste eines Damals, das nun zugänglich ist.”

(Übersetzung auf deutsch. Sarah Grettler)