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Kosova entleert sich
In Kosovo spielt sich je länger je mehr ein Drama illegaler Ausreisen ab. albinfo.ch berichtet exklusiv aus Prishtina

Die massenhaften Ausreisen der Kosovaren in Richtung Länder Europas nahmen dieser Tage weiterhin zu. Allein vom Busbahnhof in Prishtina fuhren gestern zehn Autobusse ab.
Zusammen mit fünfzig andern Kosovaren hatte er sich mit dem Autobus auf den Weg gemacht, illegal nach Deutschland zu reisen, doch weiter als bis nach Merdar, dem Grenzübergang von Kosova nach Serbien, kam er nicht. Mustafa Bislimi, 61-jährig, aus dem Dorf Bullofc in der Gemeinde Podujevë, starb im Autobus auf seiner letzten Reise.
Sein Ziel war ein anderes als jenes der andern fünfzig Menschen gewesen, die in Richtung Belgrad aufgebrochen waren, um von dort nach Subotica – dem von Kosovaren in den letzten Monaten meistfrequentierten Ort – weiterzureisen. Bislimi hatte sich laut seinen Angehörigen auf den Weg gemacht, um seine Tochter in Deutschland zu besuchen, doch starb er unterwegs an einem Herzinfarkt.
Seine Familienangehörigen sagen, er sei bei sehr guter Gesundheit gewesen.
“Im Bus hatte er nach Wasser verlangt, weil er sich nicht gut gefühlt hatte. Er fiel und war sofort tot”, sagte ein Verwandter von ihm. Mustafa Bislimi soll morgen im Dorf seiner Geburt beerdigt werden.
Er war der zweite Kosovare, der sein Leben auf der illegalen Reise in die Europäische Union liess. Ein Monat zuvor war ein anderer Albaner, aus der Gemeinde Ferizaj, an der serbisch-ungarischen Grenze gestorben. Er war der Kälte erlegen, die ungarischen Behörden fanden ihn erfroren im Wald.
Der massenhafte Aufbruch aus Kosova in Richtung Länder Europas nimmt dieser Tage immer grössere Ausmasse an. Allein vom Busbahnhof Prishtina fahren jeden Abend um die zehn Autobusse mit Ziel Ungarn ab, und dort drehen sie nach irgendeinem andern europäischen Staat, Frankreich, Deutschland oder Österreich, ab.
Nachdem der Trend zum Abhauen die letzten Monate nur die Regionen um Gjilan und Ferizaj betroffen hatte, erfasst die Massenbewegung nun in jüngster Zeit auch die Gebiete um Mitrovica, Skenderaj und Podujevë.
Albinfo.ch begab sich zum Busbahnhof in Prishtina, um dem Exodus der Kosovaren aus der Nähe beizuwohnen. Junge Leute mit Sporttaschen um die Schultern, Familienväter mit Frau und Kindern, aber auch Kranke sind es, die Schlange stehen, um einen Sitz in einem der Autobusse der Firmen Ardi, Fjolla, Erhan etc. zu ergattern.
Kaum hält der Autobus, wollen alle stürmisch hineindrängen. Auch zu Beschimpfungen zwischen jenen Passagieren, die sich nicht im Voraus ein Billet gesichert haben, kommt es. “Dräng nicht so, du Spinner”, schreit einer, der zwei Kinder bei sich hat. Doch unter den gegebenen Umständen nützen solcherlei Kraftausdrücke kaum etwas.
Emërllahu, ein etwa Sechzigjähriger, ist zum Busbahnhof gekommen, um seinen Sohn, seine Schwiegertochter und seinen zweijährigen Enkel zu verabschieden. “Sie haben es sich in den Kopf gesetzt, wegzugehen, und niemand konnte sie davon abhalten. Mein Enkel tut mir leid, um die beiden Erwachsenen mache ich mir keine Sorgen”, sagt er mit schwacher Stimme.
Der Mann aus der Umgebung von Prishtina sagt, der Grund, weshalb sein Sohn weggehe, sei die mangelnde Perspektive. “Er hat Jus abgeschlossen und sich an zwanzig Stellen beworben. Nirgends nahmen sie ihn, manchmal wurde er nicht einmal zum Gespräch vorgeladen”, erzählt Emërllahu.
Während dieser Mann bereit war, sich für albinfo.ch zu äussern, wollten andere nichts sagen.
Einige schimpfen, während sie sich durchs Gedränge zwängen, auf die politischen Leader. “Möge ich doch diesen Dieben die Mütter f… . Sie sind alle Millionäre geworden, und das Volk stirbt vor Hunger. Vetëvendosja (eine politische Bewegung; die Übers.) hat Recht, wenn sie dazu aufruft, dieses Land in Flammen zu setzen, denn anders geben die Diebe die Macht nicht aus der Hand”, sagt ein anderer der Subotica-Reisenden.
“Siehst du jenen jungen, hinkenden Mann. Er ist von Drenas. Er fiel während Maurerarbeiten an einem Haus vom zweiten Stock, und hat nun seine Gesundheit eingebüsst. Er geht nach Frankreich in der Hoffnung, geheilt zu werden”, erklärt ein etwa Dreissigjähriger. Auch auf unsere hartnäckige Bitte hin will sich der Betroffene jedoch nicht selbst äussern.
Eine Fahrkarte von Prishtina nach Belgrad kostet fünfzehn Euro; allein am Sonntagabend brachen zehn Autobusse von Prishtina mit Destination Belgrad auf.
Nach einer Berechnung von Eurostat verliessen allein in den letzten zwei Monaten mehr als 20’000 Kosovarinnen und Kosovaren ihr Land in Richtung EU. Das Emigrationsbüro des ungarischen Innenministeriums bestätigte gegenüber lokalen Medien, bis zum 25. Januar seien 6000 Kosovaren registriert worden.
Innert dreier Monate durchquerten 24’000 Kosovaren Ungarn.
Auch die neueste Nachricht kommt aus Budapest, wonach die ungarische Polizei an einem Bahnhof über 200 kosovarische Staatsangehörige angehalten hat. Unter den Flüchtlingen, deren Ziel Österreich ist, befinden sich viele Kinder.
Die Bildungsdirektorin der Gemeinde Prishtina, Arbrie Nagavci, schrieb auf ihrem Facebookprofil, nur in der Gemeinde Prishtina hätten in den letzten Monaten mehr als 810 Schülerinnen und Schüler ihre Schulbank verlassen.
Das gleiche Drama spielt sich auch in der Gemeinde Gjilan ab. Dort begannen 350 Kinder weniger das zweite Schulhalbjahr. Und auch in der Region Ferizaj sind es 400 weniger, und in Mitrovica verringerte sich die Zahl der Schulkinder um 300.
Während der Massenaufbruch mit zunehmender Intensität weiter stattfindet, unternehmen die Behörden in Prishtina nichts Konkretes, um ihn anzuhalten. Vor einer Woche debattierte das kosovarische Parlament über den jüngsten Exodus, doch kam es nicht zu einer Resolution gegen die illegale Migration, weil die Minister der Regierung und die Parlamentarier der Mehrheit die Sitzung verliessen und damit ein ungenügendes Quorum schufen.
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