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„Sniper Touristen“: Wer waren die Ausländer während der Belagerung von Sarajevo?
Mehr als dreissig Jahre später berichten die Medien in Bosnien und Herzegowina sowie weltweit erneut über die Ermordung von Bürgerinnen und Bürgern Sarajevos durch Scharfschützen.
An dem Ort, an dem er im Oktober 1992 als Zehnjähriger von einem Scharfschützen getroffen wurde, steht Elvedin Suliq heute ruhig da und denkt an das unbekannte Gesicht der Person, die während der Belagerung Sarajevos auf ihn und auf Hunderte andere Kinder geschossen hat.
Die schroffen Felsen dienten damals als Stellungen der Scharfschützen der Armee der Republika Srpska. Von dort aus hatten sie freie Sicht auf die Strasse, in der Elvedin im alten Stadtteil Sedrenik lebte.
„Ich stand so da, mit dem Rücken gedreht, und spielte mit den anderen Kindern. Ich hörte eine Salve von Schüssen. Alle Kinder rannten auseinander, nur ich wurde getroffen“, erinnert sich Elvedin an seine Verletzung im Jahr 1992.
Er sagt, der Scharfschütze habe nach dem ersten Treffer nicht aufgehört. „Er versuchte, mich zu eliminieren, mich gezielt zu töten“.
Hasan Jusović, Elvedins Nachbar und Taxifahrer, erinnert sich ebenfalls daran, dass der Scharfschütze hartnäckig versuchte, das Kind zu töten.
„Alles, was ich hörte, war ein Stöhnen. Man sagte, ein Kind sei verletzt worden“.
Hasan hatte ein Auto und wollte Elvedin ins Krankenhaus bringen.
„Die Schüsse begannen erneut. Ich drehte mich um, das Kind lag auf dem Rücksitz, blutüberströmt. Der ganze Sitz war voller Blut. Ich fuhr mit voller Geschwindigkeit Richtung Krankenhaus. Das Kind schrie, war aber bei Bewusstsein. Die Heckscheibe zerbarst und traf mich“, erinnert sich Hasan.
Während der fast vierjährigen Belagerung Sarajevos durch die Armee der Republika Srpska wurde jedes zehnte der mehr als 1 600 getöteten Kinder von einem Scharfschützen getroffen, wie Daten von Opferverbänden und internationale Gerichtsurteile zeigen. Über 14 000 Kinder wurden verletzt.
Elvedin erfuhr nie, wer der Mann war, der ihn verletzte.
Kein Scharfschütze der Armee der Republika Srpska wurde strafrechtlich verfolgt, obwohl die Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien festhalten, dass die Scharfschützenkampagne der Terrorisierung der Zivilbevölkerung Sarajevos diente, bei der mehr als 11 000 Menschen getötet wurden.
Mehr als dreissig Jahre später berichten die Medien in Bosnien und Herzegowina sowie weltweit erneut über die Ermordung von Bürgerinnen und Bürgern Sarajevos durch Scharfschützen.
Dieses Mal erhält der Terror eine neue Dimension durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Mailand zu sogenannten „Scharfschützen Touristen“ und „Sniper Safaris“.
Eine Ermittlung vor der Buchveröffentlichung
Anfang November berichteten italienische Medien, dass die Staatsanwaltschaft Mailand Ermittlungen gegen sogenannte „Wochenend Scharfschützen“ aufgenommen habe. Laut der Anzeige des Schriftstellers und Journalisten Ezio Gavazzeni zahlten diese hohe Summen, um zu den Stellungen der Armee der Republika Srpska rund um Sarajevo zu gelangen und dort auf Zivilisten zu schiessen, meist „zum eigenen Vergnügen“.
Gavazzeni wollte sich trotz mehrerer Interviewanfragen von Radio Europa Libre nicht äussern.
Er hielt jedoch in Mailand eine Pressekonferenz ab und kündigte an, im Februar ein Buch über die „Sniper Safaris“ zu veröffentlichen.
Er erklärte, erstmals 1995 in einem Artikel der Zeitung Corriere della Sera über ausländische Besucher im Krieg gelesen zu haben und daraufhin begonnen zu haben, zu diesem Thema zu schreiben, die Arbeit jedoch wegen mangelnder Informationen eingestellt zu haben.
Erst 2022 änderte sich die Situation mit dem Dokumentarfilm „Sarajevo Safari“ des slowenischen Regisseurs Miran Županič.
Sowohl im Film als auch in der diesjährigen Anzeige spielt Edib Subašić, ein pensionierter Offizier der Armee von Bosnien und Herzegowina, eine zentrale Rolle.
Er erklärt, dass die Geheimdienste der Armee von Bosnien und Herzegowina nach der Festnahme eines serbischen Freiwilligen aus Paraćin im Jahr 1993 im Sarajevaner Stadtteil Hrasno Brdo Informationen über Anreisen aus Italien erhalten hätten.
„Damals verstanden wir, dass es ein ‚Safari‘ gab, was bedeutet, dass Menschen dafür zahlten, auf andere Menschen zu schiessen, anders als gewöhnliche Söldner. Wir informierten die italienischen Geheimdienste, die damals Teil der UNPROFOR in Sarajevo waren, über diese Erkenntnisse und forderten Ermittlungen. Sehr schnell, Anfang 1994, erhielten wir die Antwort, dass der Ort in Italien identifiziert worden sei, von dem aus alles organisiert wurde, und dass die italienischen Behörden diese Aktivitäten gestoppt hätten“, wiederholte Subašić nach Beginn der Ermittlungen mehrfach in den Medien.
Unklar bleibt, warum Italien nach diesen Erkenntnissen keine strafrechtlichen Ermittlungen einleitete und die Organisatoren sowie Teilnehmer nicht zur Verantwortung zog.
Radio Europa Libre bat italienische Geheimdienste, die Staatsanwaltschaft Mailand sowie die italienische Botschaft in Sarajevo und über den Generalkonsul von Bosnien und Herzegowina in Mailand um Stellungnahmen, erhielt jedoch keine Antworten.
Laut Gavazzeni trafen sich die Beteiligten in Triest, reisten dann nach Belgrad und weiter nach Sarajevo zu den Scharfschützenstellungen, von wo aus sie auf Zivilisten schiessen konnten.
Der Flughafen Triest teilte Radio Europa Libre mit, dass keine Daten zu Flügen aus den 1990er Jahren vorlägen. Selbst falls es solche Flüge gegeben habe, seien diese nur zwei Jahre archiviert worden.
„Alles, was Flüge von vor über dreissig Jahren betrifft, existiert nicht mehr, nicht einmal in der Erinnerung. Auch die heute aufbewahrten Verkehrsstatistiken aus dieser Zeit sind nur allgemeiner Natur“, erklärte der Flughafen Triest.
Was Gavazzeni nicht sagt, ist, ob die Identität einer der von der Staatsanwaltschaft wegen „vorsätzlichen Mordes“ und „niedriger Beweggründe“ verdächtigten Personen bekannt ist.
Das „Safari“ vor dem Haager Tribunal
Der Begriff „Safari“, der Ausländer beschreibt, die „aus Spass“ auf eine belagerte Stadt schossen, wurde erstmals 2003 vor dem Haager Tribunal erwähnt, während der Aussage des geschützten Zeugen C 017 im Prozess gegen Slobodan Milošević.
Der Zeuge identifizierte Nicholas Ribić, bekannt als „Kanada“, und sagte, er sei für ein „Safari, um Menschen zu jagen“ gekommen.
Wann und wie Ribić nach Sarajevo kam, ist unklar. Bekannt ist, dass er aus Bosnien und Herzegowina stammte und sich später der Spezialeinheit „Beli Vukovi“ der Armee der Republika Srpska anschloss.
Weitere Zeugenaussagen, journalistische Recherchen und spätere Gerichtsverfahren in Kanada bestätigen seine Anwesenheit. Dennoch wurde bis heute kein Scharfschütze für die Ermordung von Zivilisten in Sarajevo vor ein Gericht gestellt.
Die Belagerung Sarajevos dauerte 1 425 Tage. Angriffe auf Zivilisten erfolgten laut Urteilen des Haager Tribunals überall und zu jeder Tages und Nachtzeit. Stanislav Galić wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, Dragomir Milošević zu 29 Jahren Gefängnis. Auch die lebenslangen Haftstrafen gegen Radovan Karadžić und Ratko Mladić stehen im Zusammenhang mit der Terrorisierung der Zivilbevölkerung Sarajevos.
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