Integration

Marijeta Cerkini: Ich begegne allen Schüler:innen mit Respekt und auf Augenhöhe

"Als Lehrerin in einer Kleinklasse sehe ich mich als Unterstützung für Schüler:innen, die zusätzliche Hilfe benötigen. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe"

Die Schulbiografie von Marijeta Cerkini liest sich wie ein Märchen und die Geschichte zeigt auch erneut auf, dass der schulische Aufstieg zur Tertiärstufe nicht immer mit der Einteilung in die Sek A oder das Gymnasium erfolgen muss.

albinfo.ch: Liebe Frau Cerkini welchen Weg haben Sie eingeschlagen um heute als Lehrerin tätig zu werden?

M. Cerkini: Mein Name ist Marijeta Cerkini und ich habe an der Universität Luzern Religionspädagogik studiert sowie den CAS in Schulsozialarbeit an der OST SG absolviert. Wie es dazu kam?   Nach der Oberstufe, in einer Realklasse, habe ich die Ausbildung auf der Schweizerischen Post gemacht, anschliessend die Berufsmaturität, ich dachte mir, hei ich bin gut in der Schule und im Betrieb, wieso nicht einfach weitermachen. Nachdem ich die Berufsmaturität bestanden habe, besuchte ich das allgemeinbildende Studienjahr an der Pädagogischen Maturitätsschule. Anschliessend führte mich mein Weg weiter an die Universität, wie vorher schon beschrieben

albinf.ch: Welche Wege stehen Schüler:innen nach der Oberstufe offen und gibt es für jeden Schüler:in eine passende Lösung?

M. Cerkini: Momentan arbeite ich als Klassenlehrperson einer 3. Kleinklasse. Meine Schüler:innen haben nach der Oberstufe die Möglichkeit eine Lehrstelle zu machen, wobei zwischen EBA und EFZ-Ausbildungsanforderungen unterschieden werden muss. Wobei EBA für eine zweijährige Grundbildung steht, die zu einem anerkannten Abschluss, zum eidgenössischen Berufsattest führt. EFZ bedeutet «Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis» und beinhaltet erweiterte Anforderungen in der Berufslehre.

Wenn die Schüler:innen noch nicht so weit sind für eine der beiden Ausbildungsformen, dann haben sie die Möglichkeit eine Vorlehre zu absolvieren. Die Vorlehre ist ein Angebot mit einem Schul- und einem Praktikumsteil. An einem Schultag pro Woche wird in Niveauklassen gearbeitet. Die Lernenden haben die Möglichkeit, zwischen folgenden drei Schwerpunktbereichen zu wählen: Dienstleistungsorientiert, technisches oder gesundheitlich-soziales Profil.

Eine dritte und weniger bekannte Option ist eine Lehrstelle mit IV (Invalidenversicherung). Für Schüler:innen mit besonderen Beeinträchtigungen (AD(H)S, Sehbehinderung, psychische Erkrankung oder Autismus) werden dabei Ausbildungen in einem geschützten Rahmen ermöglicht und die Anforderungen werden individuell an den oder der Auszubildende:n angepasst.*

albinfo.ch: Der Entscheid in die Kleinklasse eingeteilt zu werden, ist für viele Teenager und ihre Eltern oft belastend, können Sie die Sorgen der Betroffenen verstehen?

M. Cerkini: Als Lehrerin in einer Kleinklasse sehe ich mich als Unterstützung für Schüler:innen, die zusätzliche Hilfe benötigen. Ich begegne ihnen auf Augenhöhe und versuche ihre individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu berücksichtigen. Mein Ziel ist es, ihnen bei ihren Problemen zur Seite zu stehen, sie zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie an sich selbst glauben. Ich sehe mich als Coach und setze auf Beziehungsarbeit, um ein geborgenes und verständnisvolles Lernklima zu schaffen.

Ich möchte auch den Eltern und Schüler:innen verdeutlichen, dass die Bildung mit dem Abschluss der Oberstufe nicht endet, sondern erst richtig beginnt. Ich möchte ihnen Wege aufzeigen, um weiter zulernen und ihnen vermitteln, dass die Möglichkeiten in der Schweiz vielfältig sind, auch wenn man die Matura nicht auf direktem Weg erworben hat. Als Kind einer albanischen Migrantenfamilie kenne ich die Herausforderungen, die mit mangelnder Unterstützung einhergehen. Meine Eltern konnten mir bei Hausaufgaben in Deutsch oder Englisch nicht helfen, obwohl sie mich immer ermutigt haben, zu lernen und die Bedeutung von Bildung betont haben. Das Bildungssystem kann für manche Familien neu und ungewohnt sein, aber heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, um Unterstützung zu erhalten. Der Abschluss einer Oberstufe in einer Kleinklasse hat nicht mehr den gleichen negativen Ruf wie früher und bietet viele Vorteile. Durch die kleineren Lerngruppen kann besser auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler:innen eingegangen werden. Es ist wichtig, dass Familien erfahren, dass der Schulwandel auch als Chance betrachtet werden kann und dass die soziale Mobilität durch eine Einteilung in eine Kleinklasse nicht verunmöglicht wird, sondern lediglich nur über Umwege erreichbar bleibt.

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albinfo.ch: Frau Cerkini können Sie Ihre Aufwertung der Kleinklassen auch mit einer Erfolgsgeschichte belegen?

M. Cerkini: Ja. Meine Cousine ist für mich ein inspirierendes Beispiel. Sie hat erfolgreich die Kleinklasse abgeschlossen und danach Praktika im Altersheim und im Kinderspital absolviert. Später schloss sie eine berufliche Grundbildung als Assistentin für Gesundheit und Soziales ab  (EBA) und nach einigen Jahren Berufserfahrung hat sie sich dazu entschieden, ihre Ausbildung fortzusetzen und zurzeit absolviert sie das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ). Ich bin sehr stolz auf sie, da sie trotz Schwierigkeiten ihren Weg weiterverfolgt hat. Durch ihre Erfolgserlebnisse kann sie sich jetzt auch vorstellen, eines Tages zu studieren. Es ist traurig, dass manchen Schüler:innen in Kleinklassen das Gefühl vermittelt wird, nicht gut genug zu sein. Ich freue mich, dass meine Cousine diese Muster durchbrochen hat und an sich geglaubt hat.

*Auf Deutsch und Albanisch bietet hierfür T.Lulaj kostenlos Beratung auf einem sehr hoch qualifizierten Niveau. Vertiefte Infos zur Person und seiner Arbeit: https://ojs.szh.ch/zeitschrift/article/view/1115/1111

Interview geführt: Driter Gjukaj