Integration

“Voice of My People” – Ein gemeinschaftliches Werk, das ein wahres Leben erzählt

Der Werdegang des Politikers Islam Alija verwandelt sich in einen breiten gesellschaftlichen Aufruf nach Repräsentation, wobei seine individuelle Stimme Raum schafft für eine ganze Gemeinschaft, die gehört werden und den Platz einnehmen möchte, der ihr im öffentlichen Leben zusteht.

Der Dokumentarfilm Voice of My People ist das Ergebnis einer seltenen kreativen Zusammenarbeit zwischen drei Regisseuren  Lorenzo Oschwald, Ansgar Wörner und Nico Gerspacher, die ihre Visionen, ihre Beobachtungsethik und ihre erzählerische Verantwortung miteinander verbunden haben, um ein ehrliches Porträt von Islam Alijaj zu schaffen. Mit über einem Jahr Dreharbeiten, mehr als 100 Stunden Filmmaterial und einem ausgewogenen Ansatz zwischen Intimität und öffentlichem Engagement möchte der Film nicht nur die Geschichte eines Kandidaten offenlegen, sondern auch das menschliche, emotionale und gesellschaftliche Wesen von Repräsentation.

Voice of My People war Teil des renommierten Zurich Film Festival ZFF, das Anfang Oktober stattfand. In diesem Interview berichtet das Regieteam über den Entstehungsprozess, die Herausforderungen, die Beweggründe und die Erwartungen, die sie mit diesem Dokumentarfilm verbinden.

albinfo.ch: Was hat Sie inspiriert, die Geschichte von Islam Alijaj zu dokumentieren?

Persönliche Motivation – Oschwald, Wörner, Gerspacher: Wenn man Islams Geschichte zum ersten Mal hört, denkt man: “Das kann sich niemand ausgedacht haben.” Dann begegnet man ihm und merkt: Er meint es vollkommen ernst. Und er zieht es bis zum Ende durch. Für mich war das Spannendste zu sehen, was sich hinter einer politischen Kampagne verbirgt. Da wird dir klar, dass Politiker einfach Menschen sind. Und Menschen mit ihren Geschichten haben mich schon immer angezogen. Die Möglichkeit, ihn aus nächster Nähe zu begleiten und von innen heraus zu verstehen, was es bedeutet, Politiker zu sein, war wirklich faszinierend.

albinfo.ch: Sehen Sie seine Rolle eher als inspirierende Einzelperson oder als Vertreter der Gemeinschaft von Menschen mit Behinderungen?

Wörner: Islam ist eine beeindruckende Figur. Wer unter seinen Bedingungen seinen Weg geht, zeigt großen Willen und Mut. Aber er gibt auch all jenen Mut, die denken, sie hätten nicht “die nötigen Voraussetzungen”, um ihre Ziele zu erreichen.

albinfo.ch: Wie haben Sie den kreativen Ansatz als Co-Regisseure aufgeteilt und welche waren die größten Herausforderungen während der Dreharbeiten?

Gerspacher: Es ist ungewöhnlich, dass drei Personen gemeinsam einen Film drehen. Das hat nur funktioniert, weil wir uns seit vielen Jahren kennen und ein totales Vertrauen zueinander haben. Wir wussten, dass der Film für jeden von uns Priorität hatte und dass wir alle drei auf dieselbe Vision hinarbeiteten.
In der Vorbereitung haben wir Stil, Ansatz und Struktur besprochen. Danach haben wir die Aufgaben verteilt: Lorenzo übernahm Regie und Kamera während der Dreharbeiten. Ansgar und ich haben mehrmals assistiert, aber es war klar, dass Lorenzo am Steuer war. Nach dem Dreh übernahm Ansgar den Schnitt, während ich mich um das Farbkonzept, die Musik und das Sounddesign kümmerte. Jetzt, bei der Distribution des Films, sind hauptsächlich Ansgar und ich verantwortlich.

albinfo.ch: Wie lange dauerte der Drehprozess und welche waren die wichtigsten Etappen?

Oschwald: Wir hatten über 30 Drehtage, verteilt über ein Jahr, mit mehr als 100 Stunden Material. Es gab kein Drehbuch, da es ein Dokumentarfilm ist. Der einzige feste Punkt war die Wahlnacht, die das Ende der Erzählung bestimmte. Wir begleiteten Islam in ganz unterschiedlichen Situationen — persönlichen und beruflichen.
Dann begann der Schnitt, bei dem wir aus kleinen Fragmenten eine zusammenhängende Geschichte formen mussten, die seine verschiedenen Rollen widerspiegelt: Individuum, öffentliche Figur, Vater, Aktivist und Politiker. Es war eine Herausforderung, eine dramatische Spannung zu erzeugen, obwohl das Ende bereits bekannt war, doch gerade das machte den kreativen Prozess so interessant.

albinfo.ch: Wie ist es Ihnen gelungen, zwischen der persönlichen, öffentlichen und politischen Ebene die Authentizität zu bewahren?

Oschwald: Das gelang uns, weil wir Islam in sehr unterschiedlichen Umgebungen begleiteten – von der Wahlkampagne bis zu einem Familienausflug in den Zoo. Der Film blickt hinter die Fassade der öffentlichen Figur und zeigt ihn als Menschen: mit Ängsten, Druck, Ambitionen und familiärer Liebe. Die Herausforderung bestand darin, all diese Aspekte in nur 90 Minuten zu ordnen.

albinfo.ch: War Ihr Ziel, einen historischen Sieg zu dokumentieren oder eine Debatte über Inklusion anzustoßen?

Wörner: Am Anfang stand nicht fest, ob er gewinnen würde. Natürlich macht sein Wahlsieg den Film kraftvoller. Nach den Wahlen brachte ich Islam nach Berlin und organisierte ein Treffen mit der damaligen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Dort sprachen sie darüber, wie Parteien Menschen mit Behinderungen mehr Türen öffnen können. Der Film hat also eine mehrfache Wirkung — politisch, gesellschaftlich und menschlich.

albinfo.ch: Haben Sie das Thema der Wahrnehmung des Namens „Islam Alijaj“ behandelt?

Wörner: Ja, auch im Wahlkampf wurde mit seinem Namen gespielt. Für Filmschaffende ist das interessant. Für die meisten Menschen ist es jedoch völlig unwichtig, ob er Islam oder Tobias heißt.

albinfo.ch: Was ist seine stärkste persönliche Eigenschaft?

Oschwald: Seine Ausdauer und die Fähigkeit, sich zu hundert Prozent auf ein Ziel zu konzentrieren. Er hält einen enormen Druck aus. Im Film sagt er, sein Gehirn arbeite “mit 150%”, doch oft sehen die Menschen nur das Äußere.

albinfo.ch: Wie hat das Publikum reagiert?

Gerspacher: Sehr positiv. Die unmittelbare und ehrliche Dimension des Films berührt die Menschen. Bei der Premiere am Zurich Film Festival kamen viele bewegt auf uns zu und bedankten sich. Das ist die größte Anerkennung für ein Filmteam.

albinfo.ch: Welche Wirkung kann dieser Dokumentarfilm haben?

Wörner: Er gibt Mut und baut Barrieren ab.
Gerspacher: Wir möchten den Film nicht nur in der Schweiz zeigen, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Wir suchen Partner, die uns helfen, diese Geschichte so weit wie möglich zu tragen.

albinfo.ch: Sehen Sie ihn eher als historisches Dokument oder als Aufruf zur Veränderung?

Wörner: Vor allem soll der Film inspirieren. Er zeigt, dass Barrieren dazu da sind, überwunden zu werden, und dass jeder von uns ein Auslöser für Veränderung sein kann.

albinfo.ch: Werden Sie weiterhin Themen wie Gleichberechtigung und Repräsentation behandeln?

Gerspacher: Ja. Ich bin auch an mehreren anderen Dokumentarfilmen mit sozialen Themen beteiligt, von den Rechten indigener Gemeinschaften bis zur Gleichstellung der Geschlechter.

Voice of My People ist nicht nur eine Dokumentation über einen politischen Erfolg, sondern auch ein intimer Blick auf eine Stimme, die viele andere vertritt. Durch die kreative Harmonie der drei Regisseure vermittelt der Film eine berührende Erzählung, die zum Nachdenken anregt und daran erinnert, dass Repräsentation kein Privileg, sondern ein Recht ist. Die Reaktionen des Publikums zeigen, dass diese Geschichte über das Individuum hinausgeht – sie eröffnet ein neues Fenster für die Schweizer Gesellschaft und für die Rolle, die Menschen mit sichtbaren oder unsichtbaren Herausforderungen im öffentlichen Raum spielen können. Der Dokumentarfilm bleibt damit ein Zeugnis für die Kraft einer Stimme, wenn sie ehrlich gehört und von einem verantwortungsvollen Kreativteam erzählt wird.

Für die Hauptfigur des Films

Der Politiker der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz SP, Islam Alijaj, lebt mit einer körperlichen Behinderung und einer ausgeprägten Sprachbeeinträchtigung. Als er trotz eines wenig aussichtsreichen Listenplatzes in den Zürcher Gemeinderat gewählt wurde, galt dies als ein kleines Wunder. Danach entschied er sich, ein noch höheres Ziel anzustreben ein Mandat im Schweizer Nationalrat. Die Geschichte wiederholte sich, als er mit der Unterstützung vieler Menschen erneut das Unmögliche schaffte.

Der mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne realisierte Dokumentarfilm VOICE OF MY PEOPLE erzählt die Geschichte einer einzigartigen Wahlkampagne. Er gewährt einen seltenen Einblick in die Mechanismen von Wahlkämpfen in der Schweiz und wirft grundlegende Fragen über die wahre Bedeutung von Repräsentation in einer Demokratie auf.

Filmtailer: https://www.youtube.com/watch?v=SW4iuqcICNw&t=3s